Digitale Medien und ihre negativen Auswirkungen auf die Gesundheit unserer Kinder sind inzwischen unumstritten. Experten sprechen von einer ernsten Krise, doch eine Lösung scheint noch nicht in Sicht. Letzte Woche führte das Digitale Magazin “The Pioneer” ein Interview mit Dr. Manfred Spitzer. Dr. Spitzer, ein führender Neurowissenschaftler und Psychiater, beleuchtete dabei das Krankheitsbild der digitalen Demenz verursacht von übermäßiger Handy- und Computernutzung.
Und, wenn Du denkst, dass ständiges Smartphone-Nutzen NUR ein Teenager-Problem ist, liegst Du falsch. Oder greifst Du nie im Aufzug, bei Meetings, in der Bahn oder beim Filmabend mit Familie oder Freunden zum Handy? Vielleicht hast Du auch schon einmal auf das „Bling“ Deines Handys reagiert, während jemand Dir von seinem Tag erzählt hat. Oder Du hast im Bett liegend eine endlose Reihe kurzer Videos auf Youtube oder Insta angeschaut, anstatt zu schlafen. Oder statt das Buch zu lesen, das Du seit Wochen mit Dir herumträgst. Vielleicht hast du dieses Verhalten auch schon bereut.
Ziemlich sicher ist aber, das Online-Verhalten deines Sohnes beunruhigt dich zunehmend. Zu Recht, es ist höchste Eisenbahn! Am Wochenende durfte ich ein Interview von Alexander Wiedmann und Tatiana Laudien von „The Pioneer“ lesen, dass mich förmlich aufgeschreckt hat. Wachgerüttelt reicht da nicht. Hier findest du eine Zusammenfassung des Artikels. Schnall dich an. Halte dich fest!
Beginnen wir mal mit uns Erwachsenen.
Im Durchschnitt greifen wir 214 Mal am Tag auf unsere Smartphones zu – ohne Pause, ohne Feiertag. Mit der fortschreitenden Entwicklung der künstlichen Intelligenz und der damit verbundenen erweiterten Funktionen und Unterhaltungsmöglichkeiten, wird diese Zahl vermutlich weiter steigen. Erst kürzlich hat Apple angekündigt, ein hochmodernes KI-Modell von OpenAI in alle neuen iPhones zu integrieren.
Das Smartphone ist zu einem unverzichtbaren Teil unseres Alltags geworden. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom zeigt, dass die durchschnittliche tägliche Nutzungszeit bei etwa 150 Minuten liegt, Tendenz steigend. Besonders junge Menschen nutzen ihr Smartphone intensiver: 16- bis 29-Jährige verbringen im Schnitt 182 Minuten täglich damit. Das sind über 3 Stunden. Pro Tag zusätzlich zu Schule, Vereine, Freunde – sofern vorhanden. Am Wochenende sind es sogar über dreieinhalb Stunden täglich.
OK, das ist schon mal heftig. Aber es geht noch weiter.
Der oberste Gesundheitsbeamte der USA, Dr. Vivek H. Murthy, hat sogar den Notstand ausgerufen: „Jugendliche, die mehr als drei Stunden täglich in sozialen Medien verbringen, haben ein doppelt so hohes Risiko, Symptome von Angst und Depression zu entwickeln.“ Wie jetzt? Soziale Medien erhöhen das Risiko Depressiv zu werden um das Doppelte? Jupp!
Murthy betonte vergangene Woche in der New York Times die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser Information. Man muss die verfügbaren Fakten bewerten und schnell handeln.
“Die Nutzung dieser Apps macht Depressiv”
Seine Forderungen umfassen die Kennzeichnung sozialer Medien mit Warnhinweisen, ähnlich denen auf Zigarettenschachteln, eine Altersgrenze von 13 Jahren für die Nutzung von Handys und ein Verbot von „mobile devices“ an Schulen.
In den USA gibt es bereits Gesetzesentwürfe, die die Nutzung sozialer Medien für Kinder und Jugendliche einschränken sollen. Ab 2025 können Medienplattformen, die süchtig machende Algorithmen verwenden, in Florida mit Strafen von bis zu 50.000 US-Dollar pro Verstoß belegt werden. In New York sollen diese Inhalte für Minderjährige überhaupt verboten werden. Auch Frankreich hat bereits 2018 die Nutzung von Smartphones in Schulen für Schüler bis 15 Jahre weitestgehend untersagt. Selbst China, einer der größten Smartphone-Märkte weltweit, will die Nutzung mobiler Geräte durch Kinder und Jugendliche einschränken.
Wie sieht die deutsche Lösung aus?
Und hier in Deutschland? Für unsere Kinder sind solche Maßnahmen derzeit nicht geplant. Auf Nachfrage zur Umsetzung der Forderungen von Dr. Murthy verweist die Bundesregierung auf bestehende EU-Gesetze wie den „Digital Services Act“. Diese böten eine andere „Ausgangslage“ als in den USA. Außerdem betont die Regierung Initiativen wie „Elternratgeber“ und „zielgruppenspezifische Aufklärungsmaterialien zum Umgang mit Medien und Internet“, die in Form von Broschüren, Flyern, Videos und Websites zur Verfügung stehen. Das Ziel sei es, Kinder und Jugendliche zu informieren und im sicheren Umgang mit digitalen Medien zu schulen. Ob das funktioniert? Ein bisschen bei dem einen oder anderen vielleicht. Dennoch, wir Eltern müssen da deutlich mehr fordern! Für unsere Kinder.
Der Neurowissenschaftler und Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm, Manfred Spitzer, warnt seit Jahren vor den Gefahren von Smartphones. Bereits 2012 veröffentlichte er das Buch „Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“, das ihm damals den Ruf eines Panikmachers einbrachte. Doch heute, mit einer veränderten Studienlage, fühlt sich Spitzer in seinen Warnungen bestätigt.
Dr. Spitzer erklärte in dem Interview mit dem Pioneer, dass die Beziehung zwischen digitalen Medien und geistiger Gesundheit komplex ist. „Unser Gehirn ist nie ohne Umgebung, die es verdaut und dauernd verarbeitet. Diese Umgebung wirkt sich auch durchgehend auf unser Gehirn aus. Er betonte, dass die frühe Gehirnentwicklung durch digitale Medien beeinträchtigt werden kann, was später zu mehr Demenz führen kann.
Die digitale Demenz äußert sich laut Dr. Spitzer in den Auswirkungen der übermäßigen Nutzung digitaler Medien auf unsere geistige Leistungsfähigkeit. Er erläuterte: „Unser Gehirn entwickelt sich durch Training und Nutzung. Wenn beispielsweise niemand mit Ihnen spricht, haben Sie zwar Sprachzentren im Kopf, aber Sie können keine Sprache.“ Er fügte hinzu, dass ein besser entwickelter Geist länger benötigt, um abzusteigen. „Und wenn sich der Geist wegen mangelndem Training in den ersten zwei wichtigen Lebensjahrzehnten nicht so weit entwickelt, dann steigt er auch von einem niedrigeren Punkt ab.
„Je weiter der Geist schon ist, desto länger dauert auch der Abstieg. Das ist heute auch von der Forschung bestätigt.“
Dr. Manfred Spitzer in “The Pioneer”
Nicht nur das Gedächtnis und die Sprachfähigkeit sind betroffen, sondern viele weitere geistige Funktionen. „Das Gehirn verändert sich durch seine Benutzung,“ erklärt Spitzer, und er warnt davor, dass der übermäßige Gebrauch digitaler Medien diese Veränderungen negativ beeinflusst.
„Wenn wir uns mit zehn Sekunden langen Inhalten zufriedengeben, lernen wir nicht mehr, wie wir längere Zeiträume gedanklich überbrücken.“
Dr. Manfred Spitzer in “The Pioneer”
Ja, unser Gehirn entwickelt sich durch Training und Nutzung. Dies wird besonders deutlich, wenn wir uns an kurze Inhalte gewöhnen und dadurch die Fähigkeit verlieren, tief und engagiert nachzudenken.
„Wenn Informationen weniger tief verarbeitet werden, wird weniger gespeichert, was wiederum die Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinträchtigt.“
Profitinteresse auf Kosten unserer Kinder
Große Technologieunternehmen wie Apple, Google, Amazon, Microsoft und Facebook entwickelten Software, um die Zeit der Nutzer zu monetarisieren. Diese Unternehmen schafften es, Jugendliche so stark an ihre Programme und Apps zu binden, dass sie teilweise bis zu zehn Stunden täglich damit verbringen. Das Zusammenspiel von internetfähigen Hochleistungscomputern, sozialen Medien und Plattformen wie TikTok mache die Situation besonders brisant und könne gravierende Folgen für die geistige Gesundheit haben.
„Die Software für Smartphones wird von großen Unternehmen wie Apple, Google, Amazon, Microsoft und Facebook entwickelt, und diese Unternehmen wollen Geld verdienen. Sie monetarisieren die Zeit der Jugendlichen, indem diese teilweise zehn Stunden am Tag an ihrem Smartphone kleben.“
Zusammengefasst betonte Spitzer, dass es nicht die digitalen Geräte selbst seien, die schaden, sondern die Art und Intensität ihrer Nutzung, die gravierende neurologische Konsequenzen nach sich ziehen können.
„Wir liefern unsere Kinder den Profitinteressen der großen Firmen aus. Das dürfen wir nicht tun.“
Dr. Manfred Spitzer in “The Pioneer”
Er plädiert dafür, den Einfluss dieser Unternehmen auf Kinder und Jugendliche zu minimieren. „Zerschlagen ist vielleicht das falsche Wort, aber wir sollten ihren Einfluss auf unsere nächste Generation minimieren“, so Spitzer weiter.
Einige prominente Persönlichkeiten aus dem Silicon Valley setzen bereits auf eine Minimierung des Medienkonsums bei ihren eigenen Kindern. Apple-CEO Tim Cook erwähnte, dass er seinen Neffen die Nutzung sozialer Netzwerke verbiete. Bill Gates gestattete seinen Kindern keine Handys, bis sie Teenager waren, und seine Frau Melinda hätte sich gewünscht, noch länger zu warten. Steve Jobs hielt seine kleinen Kinder angeblich von iPads fern. Diese Beispiele zeigen, dass selbst die führenden Köpfe der Technologiebranche vorsichtig mit dem Medienkonsum ihrer Kinder umgehen. Schließlich wissen diese Köpfe, was sie in die Köpfe unserer Kinder pflanzen. Das wollen sie IHREN Kindern nicht zumuten, unseren schon.
Lassen wir unsere Kinder nicht alleine. Wir müssen sie unterstützen, nicht verdammen. Sie sind nicht die Akteuere! Sie sind das Opfer ausgeklügelter Techniken mächtiger Konzerne mit nur einem Ziel: mit den Onlinezeiten unserer Kinder Geld zu verdienen.
3 comments
Moin lieber Anton,
Ich finde Deine Zusammenfassung sehr gelungen, insofern, dass ich mir den Spitzer mal genauer „vorknöpfen“, also lesen werde.
Mich interessiert dabei vor allem, welche konkreten Massnahmen ich in meinem berufsschulunterricht umsetzen kann, um der digitalen Demenz entgegenzuwirken.
LG Peter
Moin lieber Anton,
Ich finde Deine Zusammenfassung sehr gelungen, insofern, dass ich mir den Spitzer mal genauer „vorknöpfen“, also lesen werde.
Mich interessiert dabei vor allem, welche konkreten Massnahmen ich in meinem berufsschulunterricht umsetzen kann, um der digitalen Demenz entgegenzuwirken.
LG Peter
https://boys-up.de/6-schritte-gegen-die-handysucht-deines-sohnes/
Hier ist der Folgeartikel hier auf Boys-Up