Vom Müll rausbringen, verlorenen Sporttaschen und dem Mutigsein

Das ist eine Beschriftung

Mein jüngster Sohn, gerade zwei, steht in der Küche auf seinem Hocker und schüttelt energisch den Kopf, als ich ihm den Paprika schneiden will. Seine Hand schnappt sich ein Messer und will drauf los säbeln. Kurz setze ich zu einem „Nein, ich mach das“ an, halte dann aber inne und sage: „Ok, ich sehe, du willst es selbst machen. Hier ist ein Brett, auf dem kannst du schneiden.“ Ich bleibe dabei und beobachte sein Tun. Was für ein schönes Alter, denke ich. Sie tun einfach, es gibt keine Aufgaben zu erledigen, keine Pflichten zu erfüllen, nichts, wovor man sich drücken muss. Sie bringen etwas zum Müll, sie holen einen Löffel aus der Küche und gießen gern das Wasser aus der großen Karaffe ins Glas, manchmal auch daneben. Sie tun, weil wir tun.

Doch dann passiert etwas. Sie werden größer, die Welt um sie wird größer und das Beziehungsgeflecht verändert sich. Mit ca. sieben Jahren lösen sich die Kinder aus dem Kosmos ihrer engsten Bezugsperson und beginnen, sich bewusst abzugrenzen. Ein Prozess, der seinen Gipfel mit 14/15 erreicht. Plötzlich braucht ihr Tun einen Sinn, den sie von uns hören wollen. Der Löffel wird nicht mehr einfach geholt – wer braucht ihn und wofür sind die Fragen, die erst geklärt werden wollen. Dann wird eine Entscheidung getroffen. Mach ich oder mach ich nicht. In der Pubertät wird zudem noch hinterfragt, ob es nicht jemand anderen gäbe, der vielleicht noch viel zuständiger sein könnte. Der Bruder vielleicht? Und überhaupt, könnte auf den Löffel vielleicht auch verzichtet werden? Du weißt, was ich meine…

Spätestens jetzt müssen wir uns entscheiden – Macht oder Augenhöhe, Kampf oder Frieden, Erziehung oder Beziehung?

Wir haben uns mit unseren Kindern für den friedvollen Weg entschieden. Und tatsächlich hat die bewusste Entscheidung für diese Haltung bei mir dazu geführt, dass ich ganz oft in vermeintlich schwierigen Situationen schmunzeln muss. Zum Beispiel ist da die Sache mit dem Müll: Einer meiner großen Söhne ist für das Rausbringen der Mülleimer und das Rausstellen der Mülltonnen zuständig. Da er selbst von sich weiß, dass er den vollen Mülleimer nicht sieht, haben wir abgesprochen, dass ich ihm Bescheid gebe. Zusätzlich stelle ich den vollen Eimer dann noch in den Flur. Und immer wieder bin ich beeindruckt, wie selektiv die selektive Wahrnehmung eines Teenagers sein kann. Er sieht ihn nicht und wenn doch, dann hat er vergessen, warum der Eimer da mitten im Flur steht. Erst, wenn ich ihm den Eimer in die Hand drücke, kommt die Erinnerung. Und wenn ich Glück habe, bringt er den Eimer nach dem Ausleeren auch wieder mit rein. Er macht diesen Job total zuverlässig, aber nicht ohne mein Mitdenken. Da könnte ich kämpfen und erziehen und strafen, aber ich habe mich für Schmunzeln entschieden.

Etwas schwieriger finde ich das Verlieren oder Vergessen von wichtigen Dingen. Da brauche auch ich dann einen tiefen Atemzug in meine Mitte, denn das nervt mich ungemein. Im aktuellen Jahr verzeichnen wir den Verlust mehrerer Geldbeutel, Fahrkarten, Sporttaschen, Jacken und Bücher. Zum Glück sind die Köpfe angewachsen. Bei sechs Kindern ist es mit vielen Dingen nicht so, dass es grenzenlose Vorräte gibt und der Verlust einer Softshelljacke oder von Hallenturnschuhen reißt sowohl zeitlich als auch finanziell ein Loch in die Kasse. Dennoch kann ich mich (nach dem tiefen Atemzug) meist wieder darauf besinnen, dass die Sache ersetzt werden kann UND, dass der Verlust für mein Kind ebenso ungewollt wie unangenehm ist. Niemand will Dinge verlieren und meine Kinder tun nichts, nur um mich zu ärgern.

Aber auch ich bin fehlbar und manchmal passiert es mir, dass meine Laune kurz den Gefrierpunkt erreicht. Vielleicht weil ich grad keine Zeit habe, mich kurzfristig um Ersatz zu kümmern oder einen Termin im Fundbüro zu machen. Und dann bekommen meine Jungs eine Ladung schlechter Laune von mir ab. Aber das halten sie aus, das weiß ich und im Nachhinein kann ich ihnen das erklären und wir können gemeinsam nach einer Lösung suchen.

Mir ist wichtig, dass sie wissen, dass wir alle gleichwürdig sind. Ich bin nicht mächtiger als sie, nur weil ich ihre Mutter bin (größer bin ich sowieso schon nicht mehr bei allen). Ich will ihnen auf Augen- und Herzenshöhe begegnen und mit ihnen im Gespräch bleiben. Denn nur dann kommen sie auch noch zu mir, wenn sie vor scheinbar wirklich unlösbaren Aufgaben für sich stehen. Sie sollen keinen Mut brauchen, um eine verlorene Jacke zu beichten, denn das “Mutkonto” darf noch gefüllt sein, wenn das Auto kaputtgefahren oder die Freundin mit 17 schwanger ist.

Dafür braucht es heute meine bewusste Entscheidung, ihnen zu vertrauen und sie loszulassen, mich zu öffnen und nicht Macht, sondern mein Herz sprechen zu lassen. MEINEN Mut, den ich gern aufbringe, denn ich bin überzeugt, dass dieser Weg für uns genau richtig ist.

Franzi von Oppen

Franzi ist Mutter von 6 Söhnen, Expertin für Jungs sowie gefragter Eltern & Söhne Coach. Sie leitet das Männers – Mutter Sohn Camp in der sächsischen Schweiz.

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