Wenn Söhne Männer werden – warum Väter dabei so wichtig sind

Junge in der Natur

geschrieben von Josef Hönerlage

Als ich mit etwa 40 Jahren nach einer langjährigen Beziehungskrise und gesundheitlich völlig am Ende aus dem Familienhaus auszog, wusste ich nicht mehr, wer ich als Mann und Vater bin. Schweren Herzens hatte ich nach vielen erfolglosen Versuchen, die
Beziehung mit meiner Frau zu kitten, den Trennungsschritt aus der Gewissheit heraus
gemacht, dass eine Trennung die bessere von zwei schlechten Möglichkeiten ist.
Angetrieben hatten mich immer Wunsch und Wille, ein guter Vater zu sein. Jetzt als
Wochenendvater und noch mehr als vorher geforderter finanzieller Hauptversorger der
Familie stand ich außen vor, war keine gleichberechtigte Bezugsperson mehr für meine
Kinder, besonders nicht für meinen in den pubertären Startlöchern steckenden älteren
Sohn.

Mann und Vater bewusst sein

Die Beziehungskrise mit meiner Frau hatte auch dazu geführt, psychotherapeutische
Unterstützung in Anspruch nehmen. Dadurch hatte ich einen für mich neuen, tieferen
Zugang zum Thema Mann und Vater sein bekommen. Ich begann mich intensiver mit
meiner unterschwelligen Angst, etwas falsch zu machen, und meinem Gefühl, kein
richtiger Mann zu sein, auseinander zu setzen. Dabei geriet mein Vater immer mehr in den
Mittelpunkt: Was für ein Mann war mein Vater? Warum fühlte ich mich als Mann so
unsicher? Hatte mein Vater etwas mit meiner Unsicherheit zu tun? Wie gehe ich möglichst
gut mit meiner eigenen Vaterverantwortung um?
Für mich begann ein langer bis heute andauernder Entwicklungsprozess in meinem Mann
und Vater sein. Wie heißt es so schön – Vater bleibt man sein Leben lang, und wie ich
lernen musste, als fertiger Mann wird man nicht geboren, sondern muss sich selbst
bewusst als Mann entwickeln.

Mein Vater und ich als Junge

Meine Erinnerungen an meinen Vater in den frühen Kindheitsjahren sind rar. Das
Arbeitsleben meines Vaters nahm viel Zeit und viel Energie in Anspruch, um beruflich als
Ingenieur Fuß zu fassen. Dazu kam dann der Hausbau, der viel Eigenleistung erforderte.
So war ich als kleines Kind weitgehend meiner Mutter überlassen, die mir alles
abzugewöhnen versuchte, was mit Körperlichkeit, Sexualität und Aggression und damit mit
Junge sein und Mann werden zu tun hatte. Erst nach Ende des Hausbaus und der Geburt
meiner ersten Schwester wurde das anders. Mein Vater nahm sich Zeit für mich und
konnte mehr mit mir anfangen. Kleinere handwerkliche Tätigkeiten beim Hausbau
gehörten dazu, Wanderungen im nahe gelegenen Gebirgszug mit seinen Wäldern, das
Erzählen von Geschichten und Sagen aus der heimatlichen Gegend, in der Kirche oben
auf der Empore gemeinsam mit dem Männerchor singen, später dann Fußballspielen und
die Geschichten von Winnetou und Old Shatterhand verschlingen. All diese Dinge
verbanden mich mit meinem Vater.

Doch da gab es noch eine andere Seite. Was mir damals nicht bewusst war, war die
Tatsache, dass meine Mutter auch meinem Vater gegenüber eine sehr antisexuelle
Haltung an den Tag legte. Bilder von meinem Vater und meiner Mutter als Mann und Frau
waren mir weitgehend fremd. In unserem Haus herrschte immer eine von meiner Mutter
geprägte moralisch „saubere“, katholische Athmosphäre, die alles dominierte. Das für
mich besonders Schlimme war, dass mein Vater das akzeptierte und bei
Auseinandersetzungen immer meine Mutter und nicht mich unterstützte.

Mein Vater und ich als Jugendlicher in der Pubertät

Mit den Beginn meiner Pubertät war meiner Vater praktisch weg. Er hatte sich auf seine
berufliche Karriere fokussiert, nahm Führungspositionen wahr und wurde in eine andere
Stadt versetzt. Für mich als pubertierendem Jungen war da kaum noch Zeit. Mit der
Pubertät begann in mir ein ziemliches Stresskarussel. Ich wurde zunehmend introvertiert,
war voller Scham und gehemmt, da die nun stattfindende körperliche Entwicklung vom
Jungen zum Mann komplett meiner in den Kinderjahren verinnerlichten antisexuellen und
antiaggressiven Haltung widersprach. Es gab Niemandem, der mir bei meinem Mann
werden zur Seite gestanden und geholfen hätte.

Mit 16 Jahren ging ich in den Widerstand gegen meine Eltern und auch gegen das
dahinterstehende gesellschaftliche und kirchliche System. Als mir in der politischen
Aufbruchszeit der frühen siebziger Jahre der marxistische Spruch „Religion ist Opium für
das Volk“ zu Ohren kam, war das wie Wasser auf meine Mühlen, um es meinen Eltern und
ganz besonders meinem Vater zu zeigen. Ich wollte besser als mein Vater werden, ich, der
jetzt für das Paradies auf Erden kämpfte, und nicht wie mein Vater, auf das Paradies im
Himmel hoffte. Ich wollte ihm beweisen, dass ich es schaffe, wollte seinen dauernden
Spruch „Aus Dir kann so nichts werden“ widerlegen.

So konnte ich etwas von meiner Wut und angestauten Energie ausleben. Nur glücklich
und innerlich gelassener wurde ich dadurch nicht, denn einen wirklichen inneren
Reifungsprozess hatte ich nicht durchgemacht.

Fünfzehn Jahre später: Ich will ein besserer Vater als mein Vater sein

Nachdem ich mich politisch ausgetobt, eine Baulehre und ein Physikstudium erfolgreich
abgeschlossen und einige Beziehungserfahrungen hatte, war für mich klar – ich will Vater
werden, und ich will ein besserer Vater werden, als es mein Vater in meinen Augen für
mich gewesen war. Mein Vaterwunsch war mein eigener Wunsch aber auch noch stark
vom Widerstand gegenüber meinem Vater bestimmt. Und ich wusste immer noch nicht,
wer ich als Mann bin, und was als Vater auf mich zukommt, welche konkrete
Verantwortung ich als Vater wirklich übernehmen muss.

Die anfänglichen Familienjahre waren in jeder Hinsicht intensiv, oft bis an und über meine
Belastungsgrenzen hinaus. Aber ich war ja noch jung und stark, und kämpfen hatte ich als
Fußballer und politischer Idealist gelernt. Die Familie wuchs, schließlich hatten wir vier
Kinder, davon zwei Söhne. Und ein eigenes Haus bauten wir auch. Das Leben und die
vorhandenen Beziehungs- und beruflichen Spannungen waren manchmal anstrengend,
aber das Wachsen und Gedeihen der Kinder mit allem Drumherum war schön und gab
Sinn. Eher unbewusst war es mir immer ein besonderes Anliegen, dass meine Söhne
bessere männliche Startbedingungen bekommen sollten, als ich sie hatte. Unsere
wichtigste gemeinsame Leidenschaft wurde in der Folgezeit und noch bis heute der
Fußball, Fußball als Männersport.

Trennungsvater

Neben den großen allgemeinen Belastungen einer sechsköpfigen Familie hatten
jahrelanger Beziehungsstress, in der Folge auch beruflicher Stress, meine Frau und mich
an Grenzen gebracht und schließlich zu der Trennungsentscheidung geführt. Das
Familienleben wurde mehr und mehr vom Beziehungsstreit und persönlichen Animositäten
bestimmt. Meine Kinder mit ihren Dingen gerieten oft aus meinem Blickfeld, anstelle von Souveränität war bei mir autoritäres Verhalten getreten. Physisch und psychisch am Ende
brauchte ich einen Rückzugsraum, wenn ich als Vater für meine Kinder weiterhin
dauerhaft zur Verfügung stehen wollte. Meine Söhne waren acht und elf Jahre alt, als ich
schließlich aus unserem Familienhaus auszog.

Anfänglich noch ziemlich unbewusst und nicht gewollt fehlte ich nun weitgehend meinen
Kindern und besonders meinem ältesten Sohn in der so wichtigen pubertären Phase. Also
in der Phase, wo die körperliche Entwicklung zum Mann stattfindet, wo Jungs männliche
Vorbilder und Vertrauenspersonen brauchen, um auch innerlich, seelisch zum Mann reifen
zu können. Als Wochenendvater stand ich meinen Söhnen fast gar nicht mehr als konkrete
Vertrauensperson zur Verfügung – mit einer Ausnahme – Fußball, sie als Spieler ich als
Trainer, Betreuer, Fan. Von der wenigen gemeinsamen Zeit mit meinen Kindern brauchte
es erst einmal viel, um überhaupt in einen guten Kontakt mit Ihnen zu kommen. Von einem
Felsen in der Brandung der pubertären Stürme, der auch im positiven Sinne Grenzen
aufzeigen konnte, war ich weit entfernt. So blieb mir meistens nur übrig, meinen Kindern
meine guten Wünsche und Liebesbekundungen auf ihren Weg mit zu geben.

Man gibt nur das weiter, was man kennt

Unbewusst gibt man als Vater vieles von dem, was man gelernt hat und von dem man
geprägt wurde, einfach eins zu eins an seine Kinder, besonders an seine Söhne weiter.
Diese Erkenntnis traf mich tief. Die Parallelen zwischen mir und meinem Vater wurden
offensichtlich. Ein positiver Verbindungspunkt war zum Beispiel unsere Leidenschaft für
den Fußball, die sich zwischen mir und meinen Söhnen fortsetzte. Die negativen
Übereinstimmungen waren aber sehr dominant. So wie meine Eltern für mich keine
positive Mann-Frau- Beziehung dargestellt hatten, so war viele Jahre lang die Beziehung
zwischen meiner Frau und mir wenig vorbildhaft für unsere Kinder gewesen. So wenig
mein Vater eine männliche Vertrauensperson für mich war, so wurde in meinem
Dauerstress mehr und mehr sichtbar, wie wenig Selbstvertrauen und inneres Standing ich
hatte, dass ich meine Kinder teilweise aus den Augen verlor. Und noch eine frappierende
Übereinstimmung wurde deutlich. So wie mein Vater mit dem Beginn der Pubertät
praktisch nicht mehr für mich da war, so war auch ich als Wochenendvater nur sehr
reduziert für meine Kinder da.

Mann und Vater sein sind keine angeborenen Fähigkeiten

Mit der Auseinandersetzung und Entwicklung meines Mann sein wurde mir zunehmend
klar, dass Mann werden oder Mann und Vater sein keine Automatismen sind. Die äußere
körperliche Entwicklung zum Mann braucht ein inneres Pondon, ein seelisches Wachsen,
ein Bewusstwerden von dem was passiert, was es bedeutet, welches Potenzial es
beinhaltet – im Guten wie im Schlechten. Und auch das Vater werden sollte mit einem
inneren Reifungsprozess einhergehen, der den zweiten Teil des Satzes „Vater werden ist
nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“ zum Inhalt hat. Denn als Vater übernehme ich
Verantwortung für meine Kinder, für eigenständige zukünftige Frauen und Männer, deren
Leben in gewissem Maß auch von mir als Vater bestimmt und beeinflusst wird.
Meinem Vater fehlten offensichtlich eine solche Reife als Mann und Vater. Traumatisiert
durch Erfahrungen im zweiten Weltkrieg und sein noch mehr kriegstraumatisierter eigener
Vater, das waren die Voraussetzungen für sein Leben. Aber auch mir fehlten die Reife als
Mann und Vater. Mir fehlte ein bewusster Vater, eine männliche Vertrauensperson, die
mich verstanden und in meiner Entwicklung zum Mann unterstützt hätte. Mir fehlte ein Vater, der mir vertraut hätte, dass ich meinen eigenen Lebensweg finde und gehe, dass
ich Selbstvertrauen als Mann hätte entwickeln können. Stattdessen versuchte ich meine
fehlende Reife durch Widerstandgeist, Willenskraft und Durchhaltevermögen zu ersetzen.
Bis ich, selbst Vater von vier Kindern, irgendwann einfach nicht mehr konnte.

Jeder Vaterweg ist anders

Was in meinem Vaterleben alles besser gelaufen wäre, wenn ich bessere männliche
Wurzeln gehabt hätte, wahrscheinlich Einiges. Aber es nun einmal auch so, dass die
hohen Anforderungsprofile an Väter viele Männer in Konflikte bringen, welche Dinge sie
priorisieren sollen, welche vielleicht hinten runter fallen. Dazu kommen möglicherweise
nicht gewollte oder nicht vorhersehbare Unwägbarkeiten. Oft stecken Väter in einem
Dilemma. Jeder Vater steht individuell vor der Herausforderung, wie er sein Mann- und
Vaterleben gestaltet. Wenn er das bewusst macht, dabei das Gutgehen seiner Kinder im
Auge behält, seine männliche Vorbildfunktion besonders den Söhnen gegenüber einnimmt
und bereit ist, sich auf Veränderungen einzulassen, dann sind das gute Voraussetzungen
für das Vater sein. Aus meiner Erfahrung als Mann und Vater weiß ich aber auch, dass
darüberhinaus die Solidarität und der „Raum“ durch andere Väter sehr wichtig sind, um
gute Lösungen zu entwickeln und die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen


Josef Hönerlage ist selber Vater von 4 Kindern und auch schon Großvater. Über sein Lebensprojekt Vaterwerkstatt steht er Männern und Vätern als Mentor und Coach mit zahlreichen Aus- und Fortbildungen und viel Erfahrung zur Verfügung

mail@hoenerlage.de / Startseite – Vaterwerkstatt

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