Solozeit – ein wichtiger Teil im Initiations-Ritual für Jungs

Tirol im Juni 2023:
Heute ist es soweit. Was bin ich aufgeregt. Dabei … stopp … es betrifft mich doch nur am Rande. Oder nicht? Meine Gedanken kreisen um meinen ältesten Sohn.

Wer ist er? Wo kommt er her? Wo geht er hin? Wie wird seine Zukunft aussehen?

Ich fühle mich ihm nah, heute ganz besonders. Durch den Vorhang am Fenster unserer Ferienwohnung beäuge ich das Wetter. Wird es Regen geben? Haben seine Turnschuhe für die Berge ausgereicht? Wie kalt wird die Nacht?

Meine Gedanken wandern zurück in den Herbst 2022. Anton Wieser von Boys up/Männers (maenners.com) erzählt uns, dass im kommenden Jahr eine seiner großen Visionen wahr wird: Es wird ein Initiationsprogramm für Jungs geben. Für uns ein Schlüsselmoment, denn schon lang denken wir über dieses Thema nach. Wie wird aus einem Jungen ein Mann? An welchem Punkt sickert es ins Bewusstsein, dass die Kindheit unwiederbringlich zu Ende ist, dass die spielerische Leichtigkeit zumindest um das Gefühl von einer größeren Tragweite des eigenen Tuns ergänzt wird.
Bei uns, meinem Mann und mir, waren es damals noch die ostdeutsche Jugendweihe und eine Konfirmation, die mit 14 gefeiert wurden. Feste, die nett, weil mit Geschenken verbunden, waren aber mehr auch nicht. Es hieß dann: „Du bist jetzt erwachsen.“ und manchmal noch: „Benimm dich auch so!“ Im Kopf eine logische Konsequenz, denn schließlich hatten wir Augenhöhe mit unseren Eltern erreicht, aber im Körper angekommen und tatsächlich gefühlt, war es noch nicht.

Etwas fehlte.

Bei mir dauerte dieser nächste Schritt noch einmal 14 Jahre. Bis zu genau dem Zeitpunkt, da ich unseren ersten Sohn zur Welt brachte. Dieser Prozess der Geburt, dieser schmale Pfad zwischen unendlichem Glück und dem Gefühl, diesem Schmerz nicht mehr standhalten zu können, das war meine Initiation als Frau. Da fielen bei mir die Puzzleteilchen ineinander. Plötzlich war ich mit mir, meinem Körper und der Erde verbunden und nicht nur mein Sohn, sondern auch der Sinn meines Seins war geboren.

Heute, 17 Jahre und sechs Söhne später, fragt es in mir immer lauter werdend, was es denn sein kann, das die Jungs in unserer Gesellschaft initiiert?

Ein Geschenkefest wohl eher nicht. Illegale Autorennen, Komasaufen, völliges Verschmelzen mit Charakteren aus Egoshootern? Vielleicht schon eher. Wo erleben sich vor allem die Jungen selbstwirksam? Wo spüren sie ihre körperlichen und seelischen Grenzen? Wo verbinden sie sich miteinander?

Da ist für mich eine Lücke. Der Kopf soll erwachsen sein und handeln, der Körper wird nicht mitgenommen. Doch die Sehnsucht danach ist groß und sie schlummert lang, oft Jahrzehnte, wie mein Mann, der Papa der sechs Jungs heute selbst erlebt.
Wilde Tiere müssen nicht mehr erlegt werden. Der Einsatz für das Überleben der Familie ist meist kein körperlicher mehr und oft wird er auch gar nicht mehr benötigt. Wir Frauen haben in den letzten Jahrzehnten mit wachsendem Bewusstsein erfahren, was wir zu leisten vermögen. Wir sind viele wichtige Schritte gegangen und sind über uns hinausgewachsen.

Mutter Sohn, Pubertät

Und für mich als Mama von sechs Jungs ist es jetzt an der Zeit, meine Söhne dahin zu begleiten, dass auch sie in ihre Kraft kommen und sowohl körperlich als auch seelisch erfahren dürfen, zu was sie fähig sind. Dass sie sich selbst in ihrer Tiefe spüren können. Jenseits von Exzessen mit Drogen, Autos oder Sport.

Der Prozess um das Erwachsenwerden unserer großen Söhne begann mit den ersten Diskussionen über Politik, Rettung der Welt und die Frage, ob der aktuelle Umgang mit sexueller Orientierung die Welt tatsächlich bunter macht. So genau hatte ich mir das selbst noch gar nicht überlegt. Puh, das war neu. Um (m)einen Standpunkt zu verteidigen, sollte ich möglicherweise selbst erstmal einen haben. Da war sie also, die neue Qualität der Gespräche – auf Augenhöhe, nicht mehr besser informiert und nicht zwingend zu Themen, die ich locker überblicken konnte. Und ich merkte auch, dass es um mehr ging als reinen Sachinhalt: Es ging um Gesprächsqualität, um Diskussionsfähigkeit, um Zuhören, Argumentieren, Orientierung geben … und … auch mal klein beigeben.

Damit fing es an. Es folgten die körperlichen Veränderungen und irgendwann kam der Punkt, da spürten wir (mein Mann und ich), dass es ein Ritual für den Übergang braucht, das den Raum für die Verschmelzung von Körper, Geist und Seele öffnet. Plötzlich konnten wir fühlen, was wir in Phoenix über die Jungen eines indigenen Stammes gelesen hatten – erst die Erfahrung von Entbehrung und Alleinsein, das Spüren der körperlichen Grenzen und das lauterwerdende Zwiegespräch mit sich selbst, lässt die Jungs zu reifen Mitgliedern der Gemeinschaft der Männer werden.

So begaben wir uns auf die Suche nach einer Lösung. In unserer westlichen Gesellschaft kein einfaches Unterfangen, weil das Bewusstsein für Rituale dieser Art noch nicht wieder in ausreichendem Ausmaß vorhanden ist. Wir sitzen in unseren Köpfen fest und versuchen von hier alles zu steuern. Dass das nicht gut ist und wir durch reines Denken kein erfülltes Leben für uns schaffen, wird beim Blick aus dem Fenster oder in die Augen der Mitfahrenden in der Straßenbahn mehr als deutlich. Aber die Angebote für Initiationen sind noch rar.

An diesem Punkt unserer Suche kam Anton Wieser ins Spiel, denn er eröffnete uns eine Perspektive für unseren großen Sohn (und ihm werden seine jüngeren Brüder folgen): sein neues Programm „The Circle“. Ein dreiteiliges Initiationsprogramm für Jungs zwischen 15 und 21 Jahren.
Und JA, das war genau das, was wir gesucht hatten. Wir brauchten nicht lang zu überlegen. Und nach einem ersten Gespräch mit Anton war auch unser Sohn sofort mit im Boot.

Zwei Zyklen hat er in diesem Frühjahr schon durchlaufen. Jetzt findet der dritte Teil statt und damit das Herzstück des Programms – die Solozeit.

24 Stunden im Wald, jeder der Jungs für sich. Allein. Nur mit Wasser, Decken, einem Tarp und dem Wissen ausgestattet, das in Rufweite jemand ist, der ein SOS-Signal hört.

Stille in der sonst so reizüberfluteten Welt. Oben am Berg in Tirol. Vogelgezwitscher, Rascheln, Wildnis.

Ich bin im Tal und betrachte den Himmel. Wird es Regen geben? Und ich überlege, wie oft in meinem Sein als Mama werde ich mich das wohl noch fragen. Der Regen steht dabei sinnbildlich für alle Herausforderungen, die meine Kinder werden meistern dürfen. Ohne mein Beisein, ohne meine Hilfe, ohne meine Worte. Und doch mit mir an ihrer Seite.

Diese Initiation ist auch für mich wieder eine. Es sickert etwas in meinem Körper an seinen Platz und ich fühle, was bedingungslose Liebe und tiefes Vertrauen in das Leben wirklich sind.

Er wird erwachsen, heute Nacht ein Stück mehr. Und ich auch. Der Regen spielt dabei letztlich gar keine Rolle mehr.

Franzi von Oppen

Franzi ist Mutter von 6 Söhnen, Expertin für Jungs sowie gefragter Eltern & Söhne Coach. Sie leitet das Männers – Mutter Sohn Camp in der sächsischen Schweiz.

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