Was dein Sohn von Mädchen lernen kann – 7 Tipps für dich als Elternteil

Ein Tag für Mädchen – aber was ist mit den Jungen?

Am 11. Oktober feiert die Welt seit 2012 den International Day of the Girl. Ein Tag, den die Vereinten Nationen ins Leben gerufen haben, um auf die besonderen Herausforderungen von Mädchen aufmerksam zu machen.
Mädchen haben in vielen Ländern weniger Zugang zu Bildung, werden häufiger Opfer von Gewalt oder Kinderheirat und verdienen später weniger Geld.

Doch bei all der Aufmerksamkeit für Mädchen drängt sich eine Frage auf:
Warum gibt es eigentlich keinen Welt-Jungentag?

Der fehlende Aktionstag für Jungen ist mehr als nur eine Lücke im Kalender – er ist ein Symbol. Denn während Mädchen weltweit gefördert werden, geraten die spezifischen Herausforderungen von Jungen leicht in den Hintergrund: fehlende Vorbilder, emotionale Unterversorgung, schulische Rückstände und alarmierend hohe Selbstmordraten.

Als Kinder‑ und Jugendcoach mit Spezialisierung auf Jungen möchte ich Eltern von Jungen zwischen 10 und 16 Jahren ermutigen, diese Diskrepanz als Chance zu nutzen. Wenn du einen Sohn hast, betrifft dich das direkt. Der Welt-Mädchentag ist keine Einladung zur Konkurrenz – sondern eine Chance, neu hinzuschauen:

Was kann dein Sohn von Mädchen lernen? Und was kannst du tun, um ihn stark, empathisch und selbstbewusst zu begleiten?

Mädchen und Jungen – ungleiche Startbedingungen

Natürlich haben alle Kinder dieselben Rechte. Trotzdem wachsen Mädchen und Jungen oft unter sehr unterschiedlichen Bedingungen auf.
In vielen Regionen dieser Welt ist das Mädchen-Sein immer noch ein Nachteil: frühe Heirat, Tabus rund um die Menstruation oder Armut sorgen dafür, dass Millionen Mädchen die Schule abbrechen müssen.

Der Welt-Mädchentag macht auf diese Ungerechtigkeiten aufmerksam – und das ist gut so.
Aber: Auch Jungen brauchen Unterstützung. Nur auf andere Weise.

Die Herausforderungen der Jungen

Viele Jungen leiden nicht unter äußerer Benachteiligung, sondern unter innerem Druck.
Sie sollen stark sein, ruhig, leistungsfähig. Sie sollen funktionieren, statt zu fühlen.

Du kennst vielleicht diesen Satz: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ – Genau das ist das Problem.

In vielen Familien bekommen Mädchen früh einen emotionalen Wortschatz, sie lernen über Gefühle zu sprechen. Jungen hingegen hören häufiger: „Reiß dich zusammen.“
Das Ergebnis: Sie schweigen, wenn es ihnen schlecht geht.

Auch in der Schule tun sich Jungen schwerer. Schon in der vierten Klasse liegen sie beim Lesen rund ein halbes Schuljahr hinter den Mädchen. Ab dem Jugendalter kommt es bei Jungen viermal häufiger zu vollendeten Suiziden als bei Mädchen. Diese Zahlen unterstreichen den Handlungsbedarf.

Warum ein Girls‑Day wichtig bleibt:

Es wäre falsch, den Welt‑Mädchentag infrage zu stellen, nur weil es keinen Jungentag gibt.

Der Tag lenkt den Blick auf Missstände, die Mädchen betreffen, und gibt ihnen eine internationale Bühne. Es geht nicht darum, Gruppen gegeneinander auszuspielen, sondern zu erkennen, dass die Förderung von Mädchen auch einen positiven Einfluss auf Jungen haben kann. Wenn wir Mädchen stärken, profitieren alle Kinder von einem gerechteren Bildungssystem, von vielfältigeren Rollenvorbildern und von einer Gesellschaft, die Empathie schätzt. Gleichzeitig sollten wir überlegen, welche Stärken von Mädchen Jungen inspirieren können, um ihre eigenen Potenziale zu entfalten.

Das alles sind zwar Fakten und Zahlen. Viel wichtiger jedoch – das sind Söhne, Freunde, Mitschüler. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass du hinschaust, hinhörst und verstehst, was dein Sohn wirklich braucht.

Eine Gesellschaft, die Empathie, Gerechtigkeit und Vielfalt fördert, ist auch für Jungen ein besserer Ort zum Aufwachsen.
Die Frage ist also nicht: „Warum haben Mädchen das?“
Sondern: „Was kann mein Sohn davon lernen?“

Was Jungen von Mädchen lernen können – Sieben Tipps

In meiner Praxis erlebe ich täglich, wie Jungen von Geschlechtsgenossinnen profitieren, wenn sie deren Fähigkeiten und Strategien übernehmen.

Anton Wieser

Im Folgenden bekommst du sieben praxisnahe Tipps, die Jungen stärken und dir als Elternteil helfen kann, sie durch die Herausforderungen zwischen Kindheit und Erwachsensein zu begleiten.

1. Emotionale Intelligenz fördern

Mädchen entwickeln oft früher Mitgefühl und Empathie. „Generation Aufbruch oder Generation Rücksichtslos?“ Eine Studie der Universität Bielefeld („Generation Aufbruch oder Generation Rücksichtslos“) ergab, dass 61 % der befragten Mädchen eine ausgeprägte Empathie zeigen, während nur 37 % der Jungen diese Stärke besitzen. Bei Jugendlichen hat sogar ein Großteil der Jungen unterdurchschnittliche Empathie. Empathie ist keine „weibliche Eigenschaft“, sondern eine menschliche Fähigkeit – und die kann dein Sohn genauso lernen.

Was du tun kannst:

  • Gefühle benennen: Sprich mit deinem Sohn über deine eigenen Emotionen – ehrlich, ohne Drama.
  • Vorbild sein: Zeig ihm, wie man Mitgefühl ausdrückt – indem du zuhörst, dich entschuldigst oder dankbar bist.
  • Perspektivwechsel üben: Lies oder schau mit ihm Geschichten, in denen andere (auch Mädchen) Herausforderungen meistern.

So lernt er, dass alle Gefühle erlaubt sind – auch die, die nicht cool wirken.

2. Kommunikation und Sprachkompetenz stärken

Mädchen reden – und das ist gut so. Sie nutzen Sprache, um Beziehungen zu gestalten.
Jungen dagegen sagen, wenn überhaupt: „Passt schon.“
Doch Sprache ist Macht. Wer über Gefühle sprechen kann, ist nicht schwach – sondern frei.

Was du tun kannst:

  • Erzählen & Zuhören: Nutzt gemeinsame Mahlzeiten oder Autofahrten für Gespräche.
  • Lesen, das Spaß macht: Bücher, Comics, Biografien – Hauptsache, es trifft seine Welt.
  • Sprachspiele & Humor: Wortspiele, Witze oder Rollenspiele fördern sein Ausdrucksvermögen

3. Körperbewusstsein und Selbstfürsorge lernen

In der Pubertät geht im Körper deines Sohnes die Post ab. Alles wächst, nichts passt mehr wirklich gut zusammen, die Koordination des Körpers wird schwierig. „Rumliegen und wachsen“, ist eine Form der Beschäftigung, die Jungen in dieser Herausfordernden Phase nötig haben. Viele Eltern verwechseln das mit.

Doch was bei Mädchen selbstverständlich thematisiert wird – Körperpflege, Zyklus, Selbstfürsorge – gerät bei Jungen oft ins Hintertreffen.

Was du tun kannst:

  • Achtsamkeit fördern: Bring ihm bei, auf Müdigkeit, Hunger oder Stress zu achten.
  • Offen reden: Sprich über Stimmbruch, Wachstum, Schweiß und Sexualität – ohne Scham.
  • Vorleben: Geh selbst achtsam mit dir um. Jungen lernen durch Nachahmung.

4. Solidarität und Fairness üben

Mädchen zeigen laut Studien häufiger Mitgefühl und Hilfsbereitschaft.
Jungen neigen dazu, schneller Schuld zuzuweisen. Doch Stärke zeigt sich nicht im Gewinnen, sondern im Miteinander.

Was du tun kannst:

  • Kooperation fördern: Teamspiele, gemeinsame Projekte, Basteln oder Sport.
  • Hilfsbereitschaft loben: Wenn dein Sohn Rücksicht nimmt, sag’s ihm – laut und klar.
  • Reflexion anregen: Frag nach Konflikten: „Wie hätte sich der andere gefühlt?“

So lernt er, dass Gerechtigkeit und Stärke zusammengehören.

5. Bildung und Lernmotivation neu denken

Jungen sind oft weniger lesemotiviert und erreichen seltener höhere Schulabschlüsse.
Nicht, weil sie dümmer sind – sondern weil Schule oft nicht zu ihrem Lernstil passt.

Was du tun kannst:

  • Stärken entdecken: Was begeistert ihn – Musik, Technik, Sport, Kunst?
  • Vorurteile abbauen: Männer dürfen lesen, tanzen, erziehen – Frauen dürfen forschen.
  • Lernen in Bewegung: Lernen darf aktiv sein: beim Gehen, Basteln oder Experimentieren.

So bleibt Lernen lebendig – und Spaß darf erlaubt sein.

6. Konfliktfähigkeit und friedliche Streitkultur

Mädchen reden, Jungs raufen.
Aber Konflikte müssen nicht laut oder verletzend sein. Sie können ehrlich und respektvoll ablaufen.

Was du tun kannst:

  • Klare Regeln: Keine Beleidigungen, jeder darf ausreden.
  • Ich-Botschaften üben: Statt „Du nervst!“ lieber „Ich bin genervt, weil …“.
  • Energie rauslassen: Bewegung hilft beim Runterkommen – danach lässt sich besser reden.

7. Positive männliche Vorbilder – Vater, Mentoren und Mütter

Viele Jungen wachsen mit weiblichen Bezugspersonen auf – Mama, Erzieherin, Lehrerin.
Das ist wunderbar, aber irgendwann brauchen sie auch Männer, die sie spiegeln.

Was du tun kannst:

  • Mütter als Brücke: Wenn du als Mutter den Kontakt zum Vater oder anderen männlichen Vorbildern förderst, stärkst du deinen Sohn doppelt.
  • Vater-Sohn-Zeit leben: Erlebnisse, Sport, Gespräche – Momente, die bleiben.
  • Andere Männer einbeziehen: Opa, Onkel, Trainer oder Lehrer.

Verstehen, was in Jungen vorgeht

Schon im Mutterleib sorgt Testosteron dafür, dass Jungen aktiver sind.
Später brauchen sie Bewegung, klare Strukturen – und gleichzeitig emotionale Sicherheit.

Wenn dein Sohn also laut, wild oder „anstrengend“ wirkt, steckt dahinter kein Trotz – sondern Biologie.
In der Pubertät verändert sich sein Gehirn rasant: Testosteron schießt hoch, der präfrontale Kortex (zuständig für Nachdenken) hinkt hinterher.
Deshalb handelt er manchmal erst – und denkt dann.

Das zu verstehen, diese vielen Veränderungen im Körper deines Jungen wahrzunehmen hilft, einen Einblick in seine Welt und Verständnis für sein Verhalten zu haben.

Verständnis heißt jedoch nicht, alles durchgehen zu lassen.
Aber es hilft, ruhig zu bleiben – mit Klarheit, Humor und Herz.

Anton Wieser ( Boys Up! Das Eltern Buch )

Psychische Gesundheit im Blick behalten

Jungen reden seltener über ihre Sorgen.
Deshalb ist es wichtig, dass du sie siehst – auch wenn sie sie nicht zeigen.

Wenn dein Sohn wütend, still oder überfordert wirkt, nimm es ernst.
Offen über Gefühle zu sprechen ist keine Schwäche – es ist Stärke.

Fazit: Ein Tag für mehr Gerechtigkeit – für alle Kinder

Der Welt-Mädchentag erinnert uns daran, wie wichtig es ist, Mädchen zu fördern.
Aber er darf kein Tag der Trennung sein – sondern einer der Verbindung.

Dein Sohn braucht dasselbe wie jedes Mädchen: Zuwendung, Anerkennung, Empathie, Bildung, Vorbilder und das Gefühl, so sein zu dürfen, wie er ist.

Vielleicht gibt es (noch) keinen Welt-Jungentag.
Aber wenn du heute beginnst, deinen Sohn mit denselben Werten zu begleiten, die Mädchen stark machen – dann hast du im Grunde jeden Tag zum Jungentag gemacht.

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